NZZ News: Keine China-Euphorie in Indonesien

China ist auch in Indonesien zu einem grossen Investor aufgestiegen. Das südostasiatische Land hält die Chinesen auf Distanz und sucht den Kontakt mit Japan und den Asean-Ländern.

Manfred Rist, Jakarta

Der Schauplatz der chinesisch-japanischen Rivalität hat sich in den vergangenen Monaten auf einen Schauplatz verlagert, der bisher wenig Schlagzeilen machte: Indonesien. Dort hat der 2014 gewählte Präsident, der frühere Geschäftsmann Joko Widodo, der wirtschaftlichen Entwicklung des 255 Mio. Einwohner zählenden Archipels höchste Priorität eingeräumt.

In den nächsten Jahren wird gemäss Widodos Prioritäten vor allem die in der Vergangenheit chronisch vernachlässigte Infrastruktur ausgebaut und modernisiert werden. Zusammen mit dem privaten Verbrauch, der durch das Heranwachsen eines Mittelstands angetrieben wird, sollen Investitionen dafür sorgen, dass die mit 850 Mrd. $ grösste Volkswirtschaft Südostasiens jährlich um deutlich mehr als die bis anhin verzeichneten 5% wächst.


Wettlauf mit Japan

Mit China und Japan zielen gewissermassen die weltweit zweit- und drittgrösste Volkswirtschaft auf eine Vorzugsbehandlung, etwa wenn es um Aufträge aus Indonesien geht. Das 4,3-Mrd.-$-Projekt einer Schnellbahn zwischen der Hauptstadt Jakarta und Bandung, der viertgrössten Stadt, ist zum Symbol dieser Konkurrenz geworden. Den Zuschlag für die 140 km lange Strecke erhielt vor Jahresfrist China Railway International. Der Wettlauf zwischen Peking und Tokio hat indessen erst richtig begonnen.

Noch hat Japan im direkten Vergleich die Nase vorn: Gemäss offiziellen Angaben des Investment Coordinating Board beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen im vergangenen Jahr auf 29 (Vorjahr: 29,3) Mrd. $, wobei Japan – an zweiter Stelle hinter Singapur – mit 5,4 Mrd. $ klar vor China (2,6 Mrd. $) rangierte. Doch Chinas Engagement hat sich im Vergleich mit dem Vorjahr vervierfacht, und die Entwicklung wird sich wohl fortsetzen; zudem lag Hongkong mit 2,2 Mrd. $ an vierter Stelle. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Anteil der amerikanischen Firmen mit 1,2 Mrd. $ vergleichsweise bescheiden ausfiel.

Indonesien war – abgesehen von Bergbaugesellschaften – nie der Liebling amerikanischer Investoren; die Vereinigten Staaten bevorzugten ihre traditionellen nichtislamischen «Alliierten» Thailand, Singapur und die Philippinen. Umso stärker setzt Indonesien nun auf die beiden grossen asiatischen Nachbarn, die auch aus politischen Gründen um Einfluss in Jakarta und in der Assoziation südostasiatischer Staaten (Asean) buhlen.

Nachzügler mit Potenzial

Um diese Balance zu halten, gilt es als praktisch sicher, dass beim nächsten Prestigeprojekt Nippon zum Zuge kommen wird. Es handelt sich um die Modernisierung der Eisenbahnstrecke Jakarta–Surabaya, die wirtschaftlich nicht nur wichtiger als die Verbindung nach Bandung ist, sondern wegen der ungleich grösseren Distanz auch erheblich teurer ausfallen dürfte. Auch bei Ausschreibungen für neue Hafenanlagen, rohstoffverarbeitende Industrien und die Stromerzeugung stehen China, Japan und Südkorea Schlange.

In Indonesien zeichnet sich also ab, was in anderen südostasiatischen Ländern bereits seit geraumer Zeit Realität ist: China rückt auf zu einem mächtigen Investor und zum wichtigsten Handelspartner. Bei sieben der zehn Asean-Länder rangieren die bilateralen Handelsströme bereits an erster Stelle. Kambodscha und Laos sind wirtschaftlich mittlerweile sehr stark von Peking abhängig. In Thailand und Malaysia, deren autoritäre Regime Rückhalt suchen, wächst der Einfluss ebenfalls. Auf den Philippinen, wo China während Jahrzehnten kaum Spuren hinterliess, stehen seit dem Regierungswechsel alle Türen offen.



Institutionell steht mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) ein Vertragsrahmen zur Verfügung, der alle Asean-Länder einschliesst und Chinas Ambitionen unterstreicht. Mit der Schubladisierung des TPP-Abkommens durch Washington, das auch in Indonesien in Betracht gezogen worden war, ist die Attraktivität des RCEP eher noch gestiegen. Tendenziell spielt China zudem die antiislamische Rhetorik von Präsident Donald Trump in die Hände, die auch in Indonesien mit Argwohn verfolgt wird.

Historisch belastet

Vor Ort werden die Chancen einer wirtschaftlichen Annäherung zwischen China und Indonesien dennoch recht zurückhaltend beurteilt. In keinem südostasiatischen Land sei die Skepsis gegenüber China ausgeprägter als in Indonesien, meint etwa Christine Susanna Tjhin. Sie forscht am Centre for Strategic and International Studies in Jakarta und macht dafür hauptsächlich historische Gründe geltend: Während mehr als drei Jahrzehnten – seit 1965, dem Beginn der «New Order» von General Suharto – sei China als kommunistischer Erzfeind gebrandmarkt worden. Im Zeitraum 1967 bis 1990 bestanden zwischen den beiden Ländern keine diplomatischen Beziehungen. Die mentalen und praktischen Folgen dieser Abgrenzung, während der «Cina» als böses Schimpfwort galt, wirkten nach und seien wohl noch jahrelang relevant.

Zu den Folgen gehört in der Einschätzung von Frau Tjhin, dass die chinesische Minderheit in Indonesien heute der chinesischen Sprache kaum noch mächtig sei. In keinem Land sei die Unterdrückung des kulturellen Einflusses durch das Verbot von Schulen, Vereinen und der Presse so systematisch und institutionalisiert betrieben worden wie in Indonesien. Kleidung, Namen, Sprache, Sitten – vieles sei unter Druck aufgegeben worden. Auch aus Angst vor Repression hätten sich die Chinesen angepasst. Das Jahr 1998, als im Zuge der Asienkrise sich der Volkszorn einmal mehr gegen Chinesen entlud, stehe da wie ein Mahnmal. Noch heute seien chinesischstämmige Landsleute zurückhaltend. Sich auf China einzulassen, werde in Politik und Wirtschaft immer noch als problematisch betrachtet.

In der Politik hallt es entsprechend zurück. Als sich Joko Widodo vor drei Jahren als Präsidentschaftskandidat profilierte, musste er sich kurzzeitig gegen Gerüchte wehren, er hätte chinesische Vorfahren. Zehn Jahre zuvor hatten sich muslimische Kreise wegen der angeblich kommunistenfreundlichen Haltung ihres Vaters Sukarno schon gegen dessen Tochter Megawati Sukarnoputri gewandt.

Basuki-Prozess im Fokus

In diesen Tagen steht der bisher erfolgreichste chinesischstämmige Politiker, Basuki Tjahaja Purnama, am Pranger. Ihm wird von radikalen Muslimen Blasphemie vorgeworfen. Das Misstrauen ist gegenseitig. Mit Argwohn und Befremden verfolgt Peking den Prozess gegen Basuki. Irritiert hat China Mitte Januar ferner auf den Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe reagiert, bei dem es sowohl um die sicherheitspolitische als auch um eine wirtschaftliche Vertiefung der Beziehungen ging. Die Aussage des für maritime Fragen zuständigen Ministers Luhut Pandjaitan, wonach Japan als ideales Modell für die Infrastrukturentwicklung betrachtet werden könne, ist laut diplomatischen Kreisen genauso aufgestossen. Dass japanische Unternehmen beim Bau des 3 Mrd. $ kostenden zweiten Container-Hafens in Jakarta, Patimban, zum Zug kommen, sorgt ebenfalls für Verstimmung.

Beispiellos ist nicht nur die Ausgrenzung des Chinesischen in der Vergangenheit. Als dunkler Schatten hängen nach wie vor die Massaker von 1965 über den bilateralen Beziehungen. Damals wurden nach einem angeblich kommunistischen Putschversuch gegen Sukarno Hunderttausende von Chinesen umgebracht, die kollektiv als «rote Gefahr» verteufelt worden waren. Jene Massaker, die in Indonesien nach wie vor euphemistisch als «Events of 1965» bezeichnet werden, sind bis heute nicht richtig aufgearbeitet worden und entsprechend tabuisiert geblieben.

Führungsrolle übernehmen

Die Situation sei heute geradezu paradox, meint Christine Susanna Tjhin: Indonesien sei in jeder Beziehung das mit Abstand grösste Asean-Land. Entsprechend erwarteten die anderen Asean-Partner, dass Jakarta in der Gestaltung der Beziehungen zu China eine Führungsrolle einnehme. In Wirklichkeit habe das Land auch aufgrund seiner Vergangenheit dafür aber die schlechtesten Karten.

Die Japaner, die frühere Besatzungsmacht, die seinerzeit die Holländer aus dem Land vertrieben hatten, kenne man. Unvertraut seien dagegen die Chinesen: Gegenseitiges Misstrauen, jahrzehntelange Ignoranz, Islam hier, Konfuzianismus dort – Indonesien fehle heute schlicht und einfach das Know-how, um mit China richtig umzugehen und eine Vertrauensbasis zu schaffen.

TPP, EU und Efta auf der Wartebank

rt. ⋅ Auch zweieinhalb Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Joko Widodo bleibt unklar, welche Rolle Indonesien in der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean eigentlich spielen will. In dieser regionalen Organisation ist Indonesien das mit Abstand grösste Land und steht für rund 40% des Bruttoinlandprodukts der Asean-Zone. Seit der Gründung von Asean vor fünfzig Jahren nimmt Indonesien als Primus inter pares denn auch eine Sonderrolle ein, was etwa im Sitz des Asean-Sekretariats in Jakarta zum Ausdruck kommt.

Die neue Regierung hat indessen schon früh aktiv über die regionalen Grenzen hinausgeschaut. China und Indien seien aufgrund der historischen Seewege natürliche Wirtschaftspartner Indonesiens, hatte Widodo 2014 erklärt. Diese Neuorientierung ist bisher harzig verlaufen. Auch der damit verbundene und vielzitierte Ausbau zu einer «maritimen Nation» ist hauptsächlich ein Schlagwort geblieben.

Die Exporte nach China und Indien – hauptsächlich Palmöl, Textilprodukte und Rohmetalle – sind mit 15 Mrd. bzw. 12 Mrd. $ relativ bescheiden geblieben. Der Blick richtete sich denn auch rasch Richtung USA und Japan, zwei Exportdestinationen mit Potenzial. Jakarta erwog, sich dem (nunmehr stornierten) transpazifischen Partnerschaftsabkommen anzuschliessen.

Ungeachtet des TPP-Stopps scheinen sich die Beziehungen zu Japan zu vertiefen: Die Annäherung schliesst neuerdings auch Gespräche über engere militärische Kontakte ein. In Tokio, wo man Chinas diplomatische Avancen gegenüber Jakarta genau beobachtet, betont man derweil, mit Indonesien und Japan sässen «zwei maritime asiatische Demokratien» am gleichen Tisch.

Für Indonesien, das einzige südostasiatische G-20-Mitglied, hat Asean letztlich eine beschränkte Bedeutung. Wohl verkörpern jene Länder noch den grössten Exportmarkt, aber langfristig liegt das Wachstumspotenzial vermutlich grösstenteils ausserhalb. Das Land sucht die globale Öffnung und entsprechend eine grössere Rolle, bekundet aber immer Mühe damit. Das Freihandelsprojekt mit der EU, wofür die Bezeichnung Comprehensive Economic Partnership Agreement (Cepa) gewählt wurde, kam jahrelang nicht vom Fleck. Formell wurde es erst vor kurzem lanciert. Der «Weckruf» kam aus Hanoi: Vietnam schloss 2015 ein Freihandelsabkommen mit der EU, wurde als Standort dadurch attraktiver und stieg auf zu einem Konkurrenten.

Auch mit der Efta werden Gespräche über einen Freihandelsvertrag geführt. Aus schweizerischer Sicht hofft man, dass ein Cepa-Abkommen zwischen Indonesien und der Efta in diesem Jahr schneller vorankommt. Es haben bereits elf Verhandlungsrunden stattgefunden, womit man der EU um Nasenlängen voraus ist. Die zwölfte Gesprächsrunde wird im März in der Schweiz stattfinden.

(https://www.nzz.ch/wirtschaft/indonesiens-ambivalentes-verhaeltnis-zu-peking-wo-die-china-euphorie-an-grenzen-stoesst-ld.142952)

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