NZZ News: Die Erinnerung an Spucke im Gesicht
In Jakarta wird derzeit Neujahr gefeiert; und selbst der Gouverneur der Hauptstadt hat chinesische Wurzeln. Seine Wiederwahl ist aber unsicher; weniger wegen seiner Ethnie als wegen seiner Religion. (Manfred Rist, Jakarta)
Calvin Hartono erinnert sich genau an 1990, als er im Kreis seiner Eltern, Onkel und Tanten erstmals das chinesische Neujahrsfest feierte. Es war das Jahr, in dem Indonesien seine diplomatischen Beziehungen mit China normalisierte. Aber selbst damals, erzählt der 49-Jährige, durfte man den Jahreswechsel nur im familiären Kreis feiern. Das öffentliche Verbot chinesischer Schriften, Organisationen und Schulen wurde erst zehn Jahre später nach dem Ende der Suharto-Diktatur aufgehoben.
Zwang zur Namensänderung
Der Gastronom, der die in Jakarta heute ziemlich bekannte Restaurantkette «Gado-Gado Boplo» gründete, hiess ursprünglich Tjung Wie Liang. Mit einem breiten Grinsen bringt er seinen chinesischen Namen auf Papier. Inzwischen sind die Zeiten vorbei, in denen die Chinesen hierzulande ihre Namen ändern und Angst haben mussten, chinesisch zu sprechen, zu schreiben, in den Tempel zu gehen oder chinesische Publikationen aufzubewahren. Fast vorbei. Er fühle sich mitunter als Bürger zweiter Klasse, fügt Hartono hinzu. Doch das beziehe sich hauptsächlich auf den dominanten Einfluss, den der Islam hier habe, meint er, der Katholik. Er spricht damit die marginale Rolle an, welche die knapp vier Millionen Chinesen auf dem Archipel im öffentlichen Leben spielen – vor allem in der Politik.
Der Einfluss der chinesischstämmigen Indonesier konzentriert sich auf die Wirtschaft. Die meisten sind wie Hartono Kleinunternehmer. Zwei Dutzend Familien kontrollieren die grossen Industriekonglomerate und stellen damit die meisten Milliardäre im Land. Sie halten sich im Hintergrund – und halten die Klappe. Denn die kollektive Erinnerung wirkt nach: Zu oft wurden die Chinesen in der Vergangenheit für alle Übel im Land verantwortlich gemacht, ausgegrenzt und verfolgt. Zu Kolonialzeiten, als man sie vor die Stadttore von Batavia verwies, dort, wo heute Glodok liegt. Etwa 1965, als man sie kollektiv als «fünfte Kolonne» des kommunistischen China brandmarkte. Oder 1998, als sich wegen der Asienkrise der Zorn über die wirtschaftliche Misere über ihnen entlud. Einer von ihnen hat sich nicht an diese Maxime des stillen Akteurs im Hintergrund gehalten. Basuki Tjahaja Purnama, genannt «Ahok». Der amtierende Bürgermeister von Jakarta machte Karriere in der Politik. Er redet laut und ungeschminkt. Er steht zu seinen chinesischen Wurzeln, besucht jeden Sonntag den katholischen Gottesdienst – und will am 15. Februar im Amt bestätigt werden. Populär ist er auch, aber seine Kandidatur hängt an einem dünnen Faden.
Die Religion hat Gewicht
Weil sich Ahok auch zum Islam und zum Koran geäussert hat, wird ein Gerichtsverfahren gegen ihn nun zu einem Testfall der Toleranz. Anlässlich einer Rede auf der Insel Pramuka hatte er davor gewarnt, sich von Muslimen verführen zu lassen, die den Koranvers Al Maidah 51 unsachgemäss auslegen würden. Dabei geht es um jene Passage, in dem die «Gläubigen» davor gewarnt werden, einen nichtmuslimischen Führer zu wählen. Ahoks Aussagen wurden von Exponenten der radikalislamischen Islamic Defenders Front (FPI) darauf indessen so verkürzt, dass es in Aufzeichnungen jetzt als Aufruf zirkuliert, sich nicht vom Koran verführen zu lassen. Aus der (Verweis) radikalen Ecke sind nun gegen ihn Blasphemievorwürfe erhoben worden.
Calvin Hartono erinnert sich genau an 1990, als er im Kreis seiner Eltern, Onkel und Tanten erstmals das chinesische Neujahrsfest feierte. Es war das Jahr, in dem Indonesien seine diplomatischen Beziehungen mit China normalisierte. Aber selbst damals, erzählt der 49-Jährige, durfte man den Jahreswechsel nur im familiären Kreis feiern. Das öffentliche Verbot chinesischer Schriften, Organisationen und Schulen wurde erst zehn Jahre später nach dem Ende der Suharto-Diktatur aufgehoben.
Zwang zur Namensänderung
Der Gastronom, der die in Jakarta heute ziemlich bekannte Restaurantkette «Gado-Gado Boplo» gründete, hiess ursprünglich Tjung Wie Liang. Mit einem breiten Grinsen bringt er seinen chinesischen Namen auf Papier. Inzwischen sind die Zeiten vorbei, in denen die Chinesen hierzulande ihre Namen ändern und Angst haben mussten, chinesisch zu sprechen, zu schreiben, in den Tempel zu gehen oder chinesische Publikationen aufzubewahren. Fast vorbei. Er fühle sich mitunter als Bürger zweiter Klasse, fügt Hartono hinzu. Doch das beziehe sich hauptsächlich auf den dominanten Einfluss, den der Islam hier habe, meint er, der Katholik. Er spricht damit die marginale Rolle an, welche die knapp vier Millionen Chinesen auf dem Archipel im öffentlichen Leben spielen – vor allem in der Politik.
Der Einfluss der chinesischstämmigen Indonesier konzentriert sich auf die Wirtschaft. Die meisten sind wie Hartono Kleinunternehmer. Zwei Dutzend Familien kontrollieren die grossen Industriekonglomerate und stellen damit die meisten Milliardäre im Land. Sie halten sich im Hintergrund – und halten die Klappe. Denn die kollektive Erinnerung wirkt nach: Zu oft wurden die Chinesen in der Vergangenheit für alle Übel im Land verantwortlich gemacht, ausgegrenzt und verfolgt. Zu Kolonialzeiten, als man sie vor die Stadttore von Batavia verwies, dort, wo heute Glodok liegt. Etwa 1965, als man sie kollektiv als «fünfte Kolonne» des kommunistischen China brandmarkte. Oder 1998, als sich wegen der Asienkrise der Zorn über die wirtschaftliche Misere über ihnen entlud. Einer von ihnen hat sich nicht an diese Maxime des stillen Akteurs im Hintergrund gehalten. Basuki Tjahaja Purnama, genannt «Ahok». Der amtierende Bürgermeister von Jakarta machte Karriere in der Politik. Er redet laut und ungeschminkt. Er steht zu seinen chinesischen Wurzeln, besucht jeden Sonntag den katholischen Gottesdienst – und will am 15. Februar im Amt bestätigt werden. Populär ist er auch, aber seine Kandidatur hängt an einem dünnen Faden.
Die Religion hat Gewicht
Weil sich Ahok auch zum Islam und zum Koran geäussert hat, wird ein Gerichtsverfahren gegen ihn nun zu einem Testfall der Toleranz. Anlässlich einer Rede auf der Insel Pramuka hatte er davor gewarnt, sich von Muslimen verführen zu lassen, die den Koranvers Al Maidah 51 unsachgemäss auslegen würden. Dabei geht es um jene Passage, in dem die «Gläubigen» davor gewarnt werden, einen nichtmuslimischen Führer zu wählen. Ahoks Aussagen wurden von Exponenten der radikalislamischen Islamic Defenders Front (FPI) darauf indessen so verkürzt, dass es in Aufzeichnungen jetzt als Aufruf zirkuliert, sich nicht vom Koran verführen zu lassen. Aus der (Verweis) radikalen Ecke sind nun gegen ihn Blasphemievorwürfe erhoben worden.
Die Stossrichtung sei klar, sagt Christine Susanna Tjhin, die als Doktorandin am Centre for Strategic and International Studies CSIS in Jakarta forscht. Es gehe jenen Kreisen darum, die Wahl von Ahok zu verhindern und seinem Mentor, Präsident Widodo, zu schaden. Grundsätzlich gehe es zudem um die Frage, ob ein Nicht-Muslim ein so einflussreiches Amt wie den Gouverneursposten in Jakarta bekleiden dürfe.
Die Antwort liegt auf der Hand: Niemand scherte sich 2012 um diese Frage, als sich Joko Widodo um das Amt des Gouverneurs von Jakarta bewarb und damals mit Basuki als Stellvertreter ins Rennen stieg. Als Widodo 2014 Staatspräsident wurde, rückte Basuki nach.
Auch aus anderer Perspektive wirkt die Frage fehl am Platz. Gemäss der Verfassung von 1945 ist Indonesien ein säkularer Staat, in dem sechs Religionen zugelassen sind. Im Prinzip sind diese gleichberechtigt. Allerdings sieht die Realität anders aus. Dass Indonesien als muslimischer Staat wahrgenommen wird, hat zum einen mit der Dominanz der Muslime zu tun, die 87 Prozent der Bevölkerung stellen, also 220 Millionen zählen. Zum anderen beeinflusst auch der wachsende Einfluss dogmatischer Kleriker und die religiöse Durchdringung von Staat und Gesellschaft das Bild des Landes.
Zwar störten manche sich an Basukis chinesischen Wurzeln, meint Christine Susanna Tjhin. Doch das religiöse Element sei bestimmender. Islamische Gruppen sowie politische Kreise, zu denen etwa Widodos Amtsvorgänger Susilo Bambang Yudhoyono gehöre, wollten Ahok aus politisch-religiösen Gründen ein Bein zu stellen. Yudhoyonos Sohn, Agus Harimurti, fordert Ahok bei der Wahl zum Gouverneur der Hauptstadt heraus. Wie sein Vater ist auch er ein Berufsmilitär.
Gespaltene Gemeinschaft
Mit seinem «unjavanischen», bisweilen aggressiven Stil eckt Ahok aber nicht nur bei konservativ-islamischen Kreisen an. Mit seiner Politik der harten Hand, mit der er beispielsweise Slum-Siedlungen einreissen lässt, um Stadtteile aufzuwerten, spaltet Ahok gar die chinesischstämmigen Bürger. Er will Jakartas Kloaken wieder in fliessende Gewässer verwandeln, Slumbewohner in Sozialwohnungen umsiedeln, den täglichen Verkehrskollaps mit öffentlichen Transportmitteln bekämpfen und die durch Überschwemmungen gefährdete Stadt durch Dämme absichern.
Selbst Christine Susanna Tjhin, eine Chinesin, ist sich nicht sicher, ob sie für ihn stimmen wird. Sie wagt nicht zu prognostizieren, ob der 50-jährige Ahok, der ein Karo-Hemd zu seinem Markenzeichen gemacht hat, am 15. Februar im Amt bestätigt wird.
Alte Gräben reissen auf
In Glodok, Jakartas «China Town», sind Banner mit seinen Wahlversprechen omnipräsent; selbst hinter den Tresen hat auch jeder Geschäftsinhaber Ahoks Wahlprogramm griffbereit. Offen machen sich indessen die wenigsten für den Gouverneur stark. Gegen ihn schon eher: Am 4. November legte ein Meer radikaler Muslime Jakarta lahm. Angeführt von der radikalen FPI, forderten Hunderttausende ein Gerichtsverfahren gegen Basuki. Dass sich die Justiz danach überhaupt darauf eingelassen hat, wird als Vorzeichen einer anstehenden Verurteilung interpretiert. Eine Gefängnisstrafe – maximal sind fünf Jahre Haft möglich – wäre nicht nur das vorläufige Ende seiner Karriere. Es wäre ein klares Zeichen, dass sich Politik und Justiz in Indonesien dem Druck radikaler Islamisten beugen.
Eine Verurteilung Ahoks könnte auch alte Gräben zwischen Chinesen und Pribumi aufreissen. Mit Letzteren sind jene zahlreichen Volksgruppen gemeint, die – wie in Malaysia die Bumitputra – als indigene Völker auf dem Archipel gelten. Hüben wie drüben sind zwar nicht alle, aber die meisten muslimischen Glaubens. Die in der Regel unterschiedliche Religionszugehörigkeit vertieft auch hier die Kluft.
Der Gastronom Hartono und die Doktorandin Tjhin gehören einer Generation an, die zwei Epochen in Indonesien kennt: jene der Unterdrückung und der Verfolgung und jene der Öffnung und der Toleranz gegenüber ihrer Ethnie. Ein Teil von Hartonos Familie hat sich in den sechziger Jahren nach China in Sicherheit gebracht, wie er erzählt. Bei Tjhin ist die Erinnerung beklemmender: Als 1998 ihr Elternhaus in Glodok brannte, rettete sie sich mit ihrer Familie auf die Strasse. Dort wartete ein Mob, dessen warme Spucke sie heute noch auf der Haut verspürt.
Die Antwort liegt auf der Hand: Niemand scherte sich 2012 um diese Frage, als sich Joko Widodo um das Amt des Gouverneurs von Jakarta bewarb und damals mit Basuki als Stellvertreter ins Rennen stieg. Als Widodo 2014 Staatspräsident wurde, rückte Basuki nach.
Auch aus anderer Perspektive wirkt die Frage fehl am Platz. Gemäss der Verfassung von 1945 ist Indonesien ein säkularer Staat, in dem sechs Religionen zugelassen sind. Im Prinzip sind diese gleichberechtigt. Allerdings sieht die Realität anders aus. Dass Indonesien als muslimischer Staat wahrgenommen wird, hat zum einen mit der Dominanz der Muslime zu tun, die 87 Prozent der Bevölkerung stellen, also 220 Millionen zählen. Zum anderen beeinflusst auch der wachsende Einfluss dogmatischer Kleriker und die religiöse Durchdringung von Staat und Gesellschaft das Bild des Landes.
Zwar störten manche sich an Basukis chinesischen Wurzeln, meint Christine Susanna Tjhin. Doch das religiöse Element sei bestimmender. Islamische Gruppen sowie politische Kreise, zu denen etwa Widodos Amtsvorgänger Susilo Bambang Yudhoyono gehöre, wollten Ahok aus politisch-religiösen Gründen ein Bein zu stellen. Yudhoyonos Sohn, Agus Harimurti, fordert Ahok bei der Wahl zum Gouverneur der Hauptstadt heraus. Wie sein Vater ist auch er ein Berufsmilitär.
Gespaltene Gemeinschaft
Mit seinem «unjavanischen», bisweilen aggressiven Stil eckt Ahok aber nicht nur bei konservativ-islamischen Kreisen an. Mit seiner Politik der harten Hand, mit der er beispielsweise Slum-Siedlungen einreissen lässt, um Stadtteile aufzuwerten, spaltet Ahok gar die chinesischstämmigen Bürger. Er will Jakartas Kloaken wieder in fliessende Gewässer verwandeln, Slumbewohner in Sozialwohnungen umsiedeln, den täglichen Verkehrskollaps mit öffentlichen Transportmitteln bekämpfen und die durch Überschwemmungen gefährdete Stadt durch Dämme absichern.
Selbst Christine Susanna Tjhin, eine Chinesin, ist sich nicht sicher, ob sie für ihn stimmen wird. Sie wagt nicht zu prognostizieren, ob der 50-jährige Ahok, der ein Karo-Hemd zu seinem Markenzeichen gemacht hat, am 15. Februar im Amt bestätigt wird.
Alte Gräben reissen auf
In Glodok, Jakartas «China Town», sind Banner mit seinen Wahlversprechen omnipräsent; selbst hinter den Tresen hat auch jeder Geschäftsinhaber Ahoks Wahlprogramm griffbereit. Offen machen sich indessen die wenigsten für den Gouverneur stark. Gegen ihn schon eher: Am 4. November legte ein Meer radikaler Muslime Jakarta lahm. Angeführt von der radikalen FPI, forderten Hunderttausende ein Gerichtsverfahren gegen Basuki. Dass sich die Justiz danach überhaupt darauf eingelassen hat, wird als Vorzeichen einer anstehenden Verurteilung interpretiert. Eine Gefängnisstrafe – maximal sind fünf Jahre Haft möglich – wäre nicht nur das vorläufige Ende seiner Karriere. Es wäre ein klares Zeichen, dass sich Politik und Justiz in Indonesien dem Druck radikaler Islamisten beugen.
Eine Verurteilung Ahoks könnte auch alte Gräben zwischen Chinesen und Pribumi aufreissen. Mit Letzteren sind jene zahlreichen Volksgruppen gemeint, die – wie in Malaysia die Bumitputra – als indigene Völker auf dem Archipel gelten. Hüben wie drüben sind zwar nicht alle, aber die meisten muslimischen Glaubens. Die in der Regel unterschiedliche Religionszugehörigkeit vertieft auch hier die Kluft.
Der Gastronom Hartono und die Doktorandin Tjhin gehören einer Generation an, die zwei Epochen in Indonesien kennt: jene der Unterdrückung und der Verfolgung und jene der Öffnung und der Toleranz gegenüber ihrer Ethnie. Ein Teil von Hartonos Familie hat sich in den sechziger Jahren nach China in Sicherheit gebracht, wie er erzählt. Bei Tjhin ist die Erinnerung beklemmender: Als 1998 ihr Elternhaus in Glodok brannte, rettete sie sich mit ihrer Familie auf die Strasse. Dort wartete ein Mob, dessen warme Spucke sie heute noch auf der Haut verspürt.
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